Die Bedeutung und der Wert der Sunna des Propheten aus der Sicht des Koran

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Die Bedeutung und der Wert der Sunna des Propheten aus der Sicht des Koran

Allah der Erhabene hat im Koran, der Hauptquelle des Islam, dem Propheten und seiner Sunna einen ganz besonderen Stellenwert beigemessen. Das Befolgen der Sunna des Propheten wird dem Gehorsam und der Ergebenheit gegenüber Allah gleichgesetzt. [1] Es sind jedoch nicht alle Einzelbereiche der Sunna gleich verbindlich; denn die Sunna ist in verschiedene Unterbereiche aufgeteilt. Unter den Handlungen des Propheten gibt es aus der Sicht der Verbindlichkeit solche, die sowohl als fard, wadschib, haram, makruh oder auch als mustahab, mandub und mubah einzustufen sind. Die gleiche Klassifikation der Verbindlichkeit gilt auch für die Verse des Korans.

Einer der Gründe, warum manche Personen sich der Sunna gegenüber gleichgültig verhalten und diese als unwichtig ansehen, ist die Auffassung, Sunna und Hadith seien völlig außerhalb der Offenbarung und somit von dieser getrennt. Tatsächlich ist jedoch zu bemerken, dass ein Teil der Sunna der Offenbarung entspringt. Aussagen, Handlungen, Entscheidungen oder Duldungen des Propheten, die nicht direkt aus den Offenbarungen entspringen, sind durch die göttliche Kontrolle geprüft und gebilligt worden. Seine Fehler, im Gegensatz zu denen anderer Menschen, wurden nicht einfach als solche stehen gelassen, ohne berichtigt zu werden. Dadurch ist es für uns möglich, die Sündenlosigkeit (ismat) des Propheten zu erkennen. Denn selbst die kleinsten von ihm begangenen Fehler wurden durch Koranverse berichtigt.

Der Unterschied zwischen dem Propheten und den anderen Menschen ist genau an diesem Punkte zu sehen. Würde man akzeptieren, dass von ihm begangene Fehler so belassen und uns so zugekommen sind, würde dies bedeuten, dass uns die Religion mit einigen Fehlern und Mängeln übermittelt wurde. Daraus könnte folgerichtig dann auch nicht von einer „deutlichen Verkündung“ (balagh mubin) gesprochen werden. Deshalb ist einer der Faktoren, durch den der Stellenwert der Sunna in der Religion zu erkennen ist, die Tatsache, dass, wenn auch nicht die ganze, so doch ein Teil der Sunna das Resultat der Offenbarung ist.

Bei der Betrachtung des Koran kann man erkennen, dass die Offenbarung nicht nur auf ein den Propheten offenbartes heiliges Buch begrenzt ist. Viele Verse im Koran weisen auf die Vermittlung von nicht im Koran enthaltenen Offenbarungen an den Propheten.

Im Koran wird auch ausgedrückt, dass dem Propheten und auch einigen anderen Propheten neben der offenbarten Schrift auch „Weisheit“ (Hikma) verliehen wurde.

„Und hinabgesandt hat Allah die Schrift und die Weisheit und hat dich gelehrt, was du nicht wusstest; und Allahs Huld war groß gegen dich.“ [2]

Der Prophet hat seiner Gemeinschaft sowohl die offenbarte Schrift, d. h. den Koran als auch diese Weisheit weitergegeben. Denn in der Sure al-Baqara heißt es: „Demgemäß entsandten wir zu euch einen Gesandten aus euch, euch unsre Zeichen zu verlesen und euch zu reinigen und euch das Buch und die Weisheit zu lehren und euch zu lehren, was ihr nicht wusstet.“ [3]

Von den Gelehrten wird die dem Propheten neben dem Buch gegebene Weisheit in dieser und in ähnlichen Suren allgemein als dem Gesandten Gottes gegebene „Sunna“ kommentiert. Imam Schafii drückt dies beispielsweise folgendermaßen aus: „Gott hat hier zuerst die Schrift, gemeint ist der Koran, und danach die „Weisheit“ erwähnt. Ich habe von Gelehrten, deren Kompetenz ich mir sicher bin, gehört, dass mit der hier ausgedrückten „Weisheit“ die Sunna des Gesandten Gottes gemeint ist. Denn vorerst wird der Koran erwähnt und anschließend wird getrennt davon die „Weisheit“ hinzugefügt.

Auch der Gelehrte Awzai (gest. 157/774) hat überliefert, dass Hasan b. Atiyya gesagt hatte: „So wie Gabriel den Koran offenbarte, so brachte er dem Propheten auch die Sunna.“ Ein weiterer Beweis für den Erhalt von göttlichen Offenbarungen außerhalb des Koran durch den Propheten ist zweifellos auch die ihm aufgetragene Aufgabe und Kompetenz, den Koran zu erklären, die er neben der vorrangigen Übermittlungsaufgabe des Koran erhalten hatte.

Zweifelsohne erfüllte er diese Aufgabe nicht nur mit seinem eigenen Wissen und seinem eigenen Idschtihad (wie im Glossar erklärt: “Selbstständige Bemühung zur Lösung einer Rechtsfrage aufgrund der Interpretation der Quellen“) sondern mit dem von Allah erhaltenen zusätzlichen Wissen: „(Wir entsandten sie) mit den deutlichen Zeichen und den Schriften; und zu dir sandten wir die Ermahnung hinab, auf dass du den Menschen erklärest, was zu ihnen hinabgesandt ward, und dass sie es bedenken“. [4]

So wie Allah dem Propheten die Verantwortung für die Erläuterung von erklärungsbedürftigen Versen übertragen hat, hat Gott die Schiedsrichterschaft des Propheten und die Akzeptanz seiner Urteile ausdrücklich vorgesehen.

Der Prophet hatte sich bei Ausführung dieser Aufgabe vorrangig sowohl an den Koran, als auch, falls im Koran nicht vorhanden, an die außerhalb des Koran erhaltenen Erkenntnisse zu wenden. Wenn er zu einem bestimmten Thema auch dort nichts vorfand, musste er das Urteil (Hukm) nach seinem Idschtihad fällen.

Daraus ist zu abzuleiten, dass der Prophet auch die Kompetenz hatte, über die im Koran vorhandenen Urteile hinausgehend auch allgemeine Urteile neu festzulegen. Er hat zu bestimmten Themen vorerst die Sendung einer Offenbarung abgewartet. Kam jedoch keine, hat er nach seinem Idschtihad entschieden oder aber sein Urteil aufgrund von einer außerkoranischen Offenbarung gefällt. Die auf diesem Wege getroffenen Entscheidungen des Propheten waren ohne Zweifel auch unter der Kontrolle der Offenbarung. Da sogar bei von ihm begangenen sehr kleinen Fehlern unverzüglich eine Berichtigung mittels einer Offenbarung erfolgte, ist aus dieser Sicht ein größeres Vergehen des Propheten undenkbar. Aus diesem Grunde erlangten seine Entscheidungen und Urteile eine überragende Qualität, die dann als von der Offenbarung bestätigte Urteile zur Geltung kamen.

In einem Vers zu seiner Kompetenz für die Fällung von Urteilen steht Folgendens: „Aber nein, bei deinem Herrn, nicht eher werden sie glauben, bis sie dich zum Richter über ihre Streitsachen einsetzen. Alsdann werden sie in ihren Herzen keine Schwierigkeit finden in deinem Entscheid und sich in Ergebung ergeben.“ [5]

Bei dem Treffen von Entscheidungen und dem Fällen von Urteilen stützte sich der Prophet manchmal direkt auf einen Vers, manchmal stützte er sich auch auf eine außerkoranische Offenbarung. In bestimmten anderen Situationen entschied er sich, als der beste Kenner der geistigen zentralen Botschaft der Religion, nach seinem eigenen Idschtihad. In jedem Falle aber wurden alle von ihm im Rahmen seiner Aufgabe als Prophet vollzogenen Handlungen einer göttlichen Kontrolle unterzogen.

Unter den vom Propheten getroffenen Entscheidungen und gefällten Urteilen, welche sich nicht direkt auf den Koran stützen, können solche zu folgenden Themen aufgezählt werden:

 

  • die Zeiten für die fünf Gebete,
  • die Gebetseinheiten (raq´a) der fünf Gebete,
  • die Art des Verrichtens der Gebete,
  • die Pflicht des Witr-Gebetes,
  • Dinge, welche das Fasten ungültig machen,
  • Dinge, die das Fasten nicht beeinträchtigen,
  • welche Personen jährliche Abgaben (Zakat) leisten müssen und die Höhe dieser Abgaben,
  • die Strafe für Alkoholkonsum,
  • für welchen Diebstahl ein Dieb wie hart bestraft werden soll,
  • die Befreiung menstruierender Frauen von den Gebeten und dem Fasten,
  • das Erbe der Großmutter.

 

Für den ganzen Artikel siehe: Mevlüt Güngör, “Kur’ân’ın Hz. Peygamber’in Sünnetine Verdiği Değer”, Sünnetin Dindeki Yeri, (ed. İsmail Lütfü Çakan), İstanbul 1998.



[1] al-Nisa 4/80

[2] al-Nisa 4/113

[3] al-Bakara 2/151

[4] al-Nahl 16/44

[5] al-Nisa 4/65