Karen Armstrong: Eine kleine Geschichte des Islam (1), Mohammed: Religionsstifter und Staatsmann (2): Eine Rezension der beiden Bücher

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Freitag, 6. Mai 2011

Karen Armstrong: Eine kleine Geschichte des Islam (1), Mohammed: Religionsstifter und Staatsmann (2): Eine Rezension der beiden Bücher

In diesem Artikel werden die beiden Bücher: Eine kleine Geschichte des Islam und Mohammed: Religionsstifter und Staatsmann der Autorin Karen Armstrong, die vor allem mit ihrer starken Betonung der gemeinsamen Botschaft der Religionen hervorgetreten ist, näher untersucht. Bei der Betrachtung der beiden Bücher, die das große Interesse der Autorin an den vergleichenden Religionsstudien widerspiegeln, werden folgende Punkte besonders beachtet:

I. Abschnitte, in denen die Autorin die orientalistische Sichtweise verlässt, die Botschaft des Islam zu verstehen und zu betonen versucht und hin und wieder perspektivenreiche und treffende Aussagen macht.

II. Begriffs- und Zuordnungsprobleme, die bewusst oder unbewusst, aufgrund ihrer Außensicht (also nicht aus dem Islam heraus) auftauchen; Stellen, in denen sie die Zivilisation im Allgemeinen und die islamische Geschichte im Speziellen aus einer säkularen und anthropozentrischen Perspektive zu deuten versucht; dass sie bestimmte Tatsachen zu verschweigen oder zu verfälschen versucht, um den Islam der modernen Vernunft näher zu bringen und ihn somit rational zu deuten.

III. Wissenslücken, resp. falsches Wissen.

 

I

Der Leser wird bei der Lektüre der beiden Bücher von Karen Armstrong feststellen, dass es sich hier um eine Autorin handelt, die den Islam und den Propheten des Islam zu verstehen versucht, anstatt ihn zu verurteilen und die sich Gedanken über die Botschaft des Propheten macht. Armstrong verlässt gelegentlich, wenn sie einige Vorfälle in der islamischen Geschichte erläutert, vollkommen die orientalistische Perspektive und deutet einige Ereignisse mit einer von einer Muslimin zu erwartenden Sensibilität und liefert sehr originelle Erklärungen. Im Folgenden werden diese Besonderheiten mit Zitaten aus den beiden Werken vorgeführt.  

Wie erwartet geht Karen Armstrong in beiden ihrer Bücher auf den Begriff des ‘Dschihad’ ein, dessen Inhalt sowohl in der islamischen Welt als auch in der westlichen Welt ständig manipuliert und verdreht wird. Armstrong deutet darauf hin, dass der Begriff ‘Dschihad’ nicht nur Krieg, sondern auch Kampf bedeutet und dass der Prophet Mohammed gekämpft hat, um den Frieden auf die arabische Halbinsel zu bringen. Der Prophet habe sich für dieses Ziel auch nicht vor kriegerischen Auseinandersetzungen gescheut, aber letztendlich habe er sein Ziel erreicht, so Armstrong, denn als er starb habe er den Frieden auf die arabische Halbinsel gebracht, die durch die häufigen Kriege völlig zerstört war. In diesem Kontext betont sie immer wieder, dass der Islam keine Kriegsreligion sei, sondern nur den Verteidigungskrieg erlaube. Ferner sagt sie, dass der Prophet Mohammed keine gewaltbereite Person gewesen ist und die westlichen Leser sich dem Leben des Propheten ausgeglichener nähern müssen. (Mohammed, 6, 7, 125.)

Armstrong deutet daraufhin, dass in der orientalistischen Literatur immer wieder behauptet wird, Mohammed (sav) konnte lesen und schreiben, obwohl im Vers 157 der Sure Araf ganz deutlich die Illiteralität des Propheten erwähnt wird. Diese Behauptung soll hauptsächlich die These, Mohammed habe vor allem auf seinen Reisen nach Syrien die heiligen Bücher der Leute des Buches (Ahl al-Kitap) gelernt und wurde von diesen beeinflusst, bekräftigen. Karen Armstrong verlässt diese Linie und behauptet, dass Mohammed (sav) weder lesen noch schreiben konnte, ohne dabei eine Beziehung zum Thema einer möglichen Beeinflussung durch die heiligen Schriften der älteren Religionen herzustellen.

Die Eigenschaften des Propheten gibt sie abgesehen von einem Fehler - seine Haare seien lockig- originalgetreu wieder. Seine Eigenschaften wie, dass er nie über die Schulter blickte, sich mit dem gesamten Körper zu einer Person wendete, wenn er zu ihr sprechen wollte, nie die erste Person gewesen ist, der die Hand bei der Begrüßung zurückzog, deutete Armstrong als ein Zeichen seiner Zielstrebigkeit und Aufrichtigkeit. (Mohammed, 25.)

Auch ihre Erklärung über die Mehrehe des Propheten, die im Westen stets betont wird, ist sehr interessant. Armstrong sagt, dass der Prophet mehrere Ehen eingegangen ist, um die Beziehungen zu seinen Verbündeten zu verbessern und neue Verbündete von anderen Stämmen zu gewinnen; die Tatsache, dass auch ältere Frauen unter seinen Ehefrauen zu finden sind, zeigt, dass die meisten Ehen pragmatische Ziele verfolgten und nicht aufgrund sexueller oder romantischer Beweggründen erfolgten. Was die Ehe des Propheten mit Aischa angeht, so sagt sie, dass es bei den Arabern gang und gäbe war, ihre Töchter im jungen Alter zu vermählen und dass diese Praxis bis zur modernen Zeit auch in Europa vorhanden war, wobei die Ehe erst mit dem Eintritt in die Pubertät vollzogen wurde.

In Bezug auf das Verhältnis des Propheten zu seinen Ehefrauen, erwähnt die Autorin unter anderem, dass er seinen Frauen im Haushalt geholfen hat, seine Kleider selbst genäht hat und sich mit ihnen und besonders mit Ummu Salama bei bestimmten Fragen beraten hat.

Die Autorin schreibt, dass mit dem Koran den Frauen viel früher als den westlichen Frauen das Recht auf Erbe und Scheidung gegeben wurde und dass die Erlaubnis, sich mit mehreren Frauen zu verheiraten, nicht nur für den Propheten, sondern im Allgemeinen für alle Muslime, zu der damaligen Zeit eher Vorteile als Nachteile für die Frauen gebracht habe. Mit dieser Erlaubnis wurde die Ungerechtigkeit gegenüber verwitweten Frauen beendet; das in der Dschahiliya verbreitete Zusammenleben zwischen einem Mann mit beliebigen Frauen ohne einen Ehevertrag, in denen die Männer keinerlei Verantwortung gegenüber ihren Frauen übernommen hatten und die Nachkommenschaft ungeklärt war, eingeschränkt und beendet. Der Autorin zufolge ist es besonders in wirtschaftlich schwierigen Situationen ein Zeichen der Tapferkeit und Barmherzigkeit, wenn man die Verantwortung von vier Frauen gemeinsam mit ihren Kindern auf sich nimmt. (Mohammed, 127, 133 vd.)

 

II.

Die Bücher von Armstrong sind wie schon erwähnt weit davon entfernt, eine Reproduktion und Wiederbelebung der im Westen bekannten und weitverbreiteten Klischeevorstellungen zu sein. Aber dennoch gibt es in ihren genannten Werken Stellen, die zeigen, dass sie den Islam von einer Außenperspektive betrachtet, von diesem Standpunkt heraus die islamische Geschichte deutet und dadurch gewisse – bewusste oder unbewusste – begriffliche Fehler macht und unrichtige Erklärungen abgibt. An manchen Stellen wird es besonders problematisch, da sie nicht nur den Islam, sondern den Begriff der Religion aus einer humanistischen und antrozentrischen Perspektive zu deuten versucht. Das größte dieser Probleme, gelegentlich auch auf Erklärungsversuche von Muslimen zutreffend, ist, dass sie bestimmte Ereignisse, die sie mit dem modernen Menschenverstand nicht in Einklang zu bringen vermag, einfach ablehnt, verdreht oder ignoriert, ohne dabei auf die Authentizität der Ereignisse zu achten. Im Folgenden werden aus den beiden Büchern von Armstrong die auffälligsten Fehler diesbezüglich dargestellt:

Wenn Armstrong Hasan al-Basri als einen “religiösen Reformer” bezeichnet, begeht sie einen begrifflichen Fehler. Abgesehen von der Frage, ob man Hasan al-Basri als Reformer bezeichnen kann, benutzt sie die gleiche Bezeichnung später auch für Ibn Taymiyya, was darauf deutet, dass sie diesen Begriff willkürlich benutzt. (Islam, 75). Ein vergleichbarer Begriffsfehler taucht auf, als sie das Wort Dhikr mit dem Begriff Mantra zu erklären versucht. Bezüglich der Nacht der Bestimmung (Laylat ul-Kadr) schreibt sie: “Mit der Nacht der Bestimmung begann eine neue Zeit der Kommunion zwischen Himmel und Erde”, wobei sie auf christliche Termini zurückgreift. (Mohammed, 37.)

Die anthropozentrische Perspektive der Autorin tritt am deutlichsten an den Stellen hervor, in denen sie die Offenbarung zu erklären versucht:

“In rein säkularen Begriffen kann man sagen, dass Mohammed die großen Probleme, mit denen seine Mitmenschen konfrontiert waren, viel tief greifender als seine Zeitgenossen wahrgenommen hat und dass er, als er sich den Ereignissen widmete, tief und schmerzvoll in seine innere Welt eingetaucht ist, um nicht nur politisch effektive, sondern auch spirituell erhellende Lösungen zu finden. Dabei hat er gleichzeitig eine literarische Form und ein Meisterwerk der arabischen Poesie und Prosa geschaffen.” (Islam, 5.)  Die Worte, die von seinem tiefsten inneren Sein hervorzukommen schienen, trafen die Wurzeln der Probleme in Mekka”." (Mohammed, 33.)

Wie man aus diesen Zitaten herauslesen kann, versteht Armstrong das Phänomen der Offenbarung (wahy) als ein Produkt der inneren Meditation des Propheten Mohammed (sav), der damit Lösungen für die gesellschaftlichen Probleme zu finden versuchte. Sie vergleicht Mohammed (sav) mit einem Dichter, der die Sätze von seinem tiefsten Inneren in sein Bewusstsein zieht und zeigt somit, dass ihre Herangehensweise nicht nur hinsichtlich der islamischen Offenbarung, sondern in Bezug auf das Phänomen der Offenbarung im Allgemeinen problematisch ist. (Mohammed, 45.)

Als ein Erklärungsversuch für diese Haltung, kann das Argument angeführt werden, dass Armstrong als ehemalige katholische Nonne, ausgehend von der Trinitätslehre des Christentums, daran geglaubt hat, dass Jesus selbst die personifizierte Offenbarung Gottes darstellt und dadurch die Gottesvorstellung entstellt wurde. Als ein Beispiel für ihr Verständnis der islamischen Offenbarung, soll hier angeführt werden, dass sie die Änderung der Gebetsrichtung durch den Vers 144 der Sure Bakara und die Ausführung dieses Befehls durch den Propheten während des Gebets, indem er sich von der Gebetsrichtung Jerusalem nach derjenigen von Mekka drehte, als eine seiner kreativsten Handlungen bezeichnet. (Islam, 18.)

Die Ausführungen der Autorin zur Entstehung des Monotheismus sind ein weiterer Beleg für ihre anthropozentrische Herangehensweise. Sie erklärt den Monotheismus rein säkular aus einer typisch kulturhistorischen Perspektive und schreibt, der Monotheismus sei entstanden, weil der Paganismus für fortgeschrittene Gesellschaften nicht mehr genügte, und die Menschen sich nicht mehr mit lokalen Kulturen zufriedengaben. Auf ähnliche Weise setzt sie die Entstehung des Monotheismus in Mekka mit der durch den Handel stark entwickelten Wirtschaft in Verbindung. (Islam, 7.)

Wie eingangs bereits erwähnt, schreibt die Autorin im Gegensatz zur verbreiteten Vorstellung im Westen, der Islam sei keine Kriegsreligion. Aber der Weg, den sie eingeschlagen hat, um dies zu erklären, birgt wiederum einige Probleme in sich. Die Autorin behauptet, die Eroberungszüge nach dem Tode des Propheten verfolgten keine religiöse, sondern politische und pragmatische Ziele, und trennt dadurch die Begriffe Islam und Krieg voneinander. So behauptet sie zum Beispiel, die Eroberungszüge zur Zeit des zweiten Kalifen, Omar, seien nur wegen der einheitsstiftenden Funktion innerhalb der Umma und dem Wunsch nach Kriegsbeuten begonnen worden und erklärt damit die genannten Kriege aus einer rein pragmatischen Sicht heraus. Darüber hinaus deutet sie alle Kriege zur Zeit der vier recht geleiteten Kalifen auf ähnliche Weise. (Islam, 29; Mohammed, 199.)

Folglich entstellt sie die Bedeutung der Eroberungen, indem sie sich gegen das westliche Urteil, der Islam sei, eine Religion des Schwertes, stellt. Hinter dieser Einstellung steckt ein weiterer Grund, welcher in beiden Büchern bemerkbar ist: Karen Armstrong benutzt eine Methode, die hin und wieder auch von Muslimen benutzt wird; sie stellt sich gegen die Vorurteile gegenüber dem Islam, indem sie historische Ereignisse, die diese Vorurteile zu bekräftigen scheinen, entweder durch Interpretation oder durch deren Ignorierung einfach beiseitelässt. Man darf hier nicht vergessen, dass man durch Schritte dieser Art, nämlich durch Verdrehung und Unterschlagung mancher Informationen oder indem man rechtliche Normen einfach auf ihre Historizität reduziert, ohne dabei die rechtlichen und theologischen Konsequenzen zu berücksichtigen, lediglich palliative Lösungen erhält.

Diese Herangehensweise bringt mehr Probleme als Lösungen mit sich und produziert ständig neu zu beantwortende Fragen: Liegt der Grund, dass eine religiöse Norm in der modernen Gesellschaft ein Problem darstellt, im Wesen dieser Norm oder darin, dass die Herangehensweise nicht mehr islamisch ist? Wie wollen diejenigen, die Probleme haben, ein Hadith zu erklären und es deswegen, obwohl dieses Hadith Jahrhunderte lang als authentisch anerkannt worden war und durch die Kommentatoren kommentiert wurde, mit der Begründung, dieser sei nicht authentisch, ablehnen, erklären, dass sie aber dennoch andere Hadith mit den gleichen Überlieferungsketten für ihre Argumentationen heranziehen? Sind diejenigen, die eine Überlieferung ablehnen, ohne dabei ihre Rolle im islamischen Recht und das Verhältnis zu den restlichen Überlieferungen sowie zu den Rechtsnormen zu berücksichtigen, bereit, die Folgen dieses Schrittes auf sich zu nehmen und eine neue fiqh und usul al-fiqh zu entwickeln? Es ist schwierig zu glauben, dass diese Herangehensweise der islamischen Gemeinschaft einen Nutzen bringt, bevor man überzeugende Antworten auf diese Fragen gefunden hat.

Als eines der Ereignisse, welches nach einer Erklärung verlangt, behandelt die Autorin das Urteil des Propheten Mohammed (sav) über die Banu Quraiza und erklärt, dass die Ermordung der Bani Quraiza infolge ihres Verrats nicht im Zusammenhang mit dem Antisemitismus zu sehen sei, sondern die logische Folge der damaligen Umstände war. Sie vergisst aber nicht zu erwähnen, dass dieser Vorfall den Tiefpunkt in der Karriere Mohammeds (sav) darstellt, aus der heutigen Sicht nicht zu entschuldigen sei und auch nicht mit den Zielen des Propheten übereinstimme. Der Autorin zufolge hat der Prophet in diesem Falle wie ein herkömmlicher Stammesführer gehandelt, denn eigentlich müsse der Kriege stets mit dem Ziel des Friedens verkoppelt sein. Armstrong meint, dass Mohammed (sav), als er die Siedlung der Bani Quraiza verließ, gemerkt haben musste, dass er eine andere Lösung finden sollte. (Mohammed, 150-152.) Die Banu Quraiza haben in dem strategisch sehr kritischen Khandak-Krieg, der die Existenz der Muslime bedrohte, versucht, diese von innen heraus anzugreifen.

Als Folge dieses Verrats wurde die Siedlung der Banu Quraiza nach dem Khandak-Krieg belagert. Nachdem sie einige Tage widerstand geleistet hatten, ergaben sie sich den Muslimen und erklärten, sie seien bereit, das Urteil eines von ihnen gewählten Schiedsrichters anzuerkennen. Dieser von ihnen gewählte Schiedsrichter, Sa’d b. Muaz, hat daraufhin ausgehend von folgendem Befehl aus ihrem eigenem Buch, der Thora, geurteilt: “Wenn du vor eine Stadt ziehst, um gegen sie zu kämpfen, so sollst du ihr zuerst den Frieden anbieten. Antwortet sie dir friedlich und tut dir ihre Tore auf, so soll das ganze Volk, das darin gefunden wird, dir fronpflichtig sein und dir dienen.

Will sie aber nicht Frieden machen mit dir sondern mit dir Krieg führen, so belagere sie.

Und wenn sie der HERR, dein Gott, dir in die Hände gibt, so sollst du alles, was männlich darin ist, mit der Schärfe des Schwertes erschlagen.

Nur die Frauen, die Kinder und das Vieh und alles, was in der Stadt ist, und alle Beute sollst du unter dir austeilen und sollst essen von der Beute deiner Feinde, die dir der HERR, dein Gott gegeben hat.” (Deuteronomium (5. Mose), XX/10-14).

Mohammed Hamidullah fügt hinzu, dass die Banu Quraiza, obwohl sie einen großen Verrat verübt hatten, wahrscheinlich nicht getötet, sondern nur vertrieben worden wären, hätten sie keinen Widerstand geleistet. Die Banu Quraiza haben letztlich nicht nur die Muslime verraten, sondern auch ihren Treueschwur gegenüber der Gesellschaft gebrochen, die der Prophet nach der Auswanderung nach Medina gegründet hatte, und in dem sie erklärt hatten, sie seien ein Teil dieser Gesellschaft und seien bereit, diese Gesellschaft an der Seite der Muslime gegenüber Feinden zu verteidigen. Ihre Strafe fiel wahrscheinlich so hart aus, weil sie ihren Eid gebrochen hatten und dies in einem sehr kritischen Krieg wie derjenige von Khandak.

Ein weiteres Beispiel dafür, wie Armstrong Informationen entstellt, ist ihre Neigung, die Sichtweise des Islam zu den anderen Religionen so zu deuten, dass sie mit ihrer These der Einheit der Religionen übereinstimmt. Die Autorin erwähnt diesbezüglich, dass der Islam davon ausgeht, dass die Besitzer des Buches (Ahl al-Kitap) eine authentische Offenbarung erhalten haben und deswegen nicht gezwungen wurden, ihre Religion zu ändern und bis ins 8. Jahrhundert auch nicht dazu ermutigt wurden. (Islam, 30.)  Es sollte darauf aufmerksam gemacht werden, dass der Glaube an die authentische Offenbarung der Buchbesitzer nicht die Authentizität ihrer vorhandenen Bücher impliziert. Weiterhin muss bedacht werden, dass es einen deutlichen Unterschied gibt, ob man Menschen zu einem Religionswechsel zwingt, oder sie dazu ermutigt. Diese Aussagen resultieren aus der Annahme der Autorin, der Islam sei eine pluralistische Religion, was nicht mit der Wahrheit übereinstimmt. Als eine Folge dieser Herangehensweise kann ihre Erklärung im Bezug auf die Himmelfahrt (Miradsch) des Propheten herangezogen werden. Die Autorin deutet seltsamerweise darauf hin, dass die Propheten während der Himmelfahrt Mohammed (sav) gegrüßt und ihn in ihre Familie aufgenommen haben, wobei sie keineswegs versucht hätten, ihre Religion den anderen näher zu bringen, was Armstrong als Zeichen für einen pluralistischen Monotheismus deutet. Warum diese Aussage keineswegs akzeptabel ist, bedarf keiner weiteren Erklärung. (Mohammed, 85-87.)

Es ist zu beobachten, dass die Autorin – vor allem wenn es um den bereits angesprochenen Pluralismus geht – die Koranverse aus ihrem Kontext herauszieht und bei ihrer Interpretation die Exegesewerke und die Art und Weise, wie die Muslime diese Verse verstanden haben, nicht berücksichtigt. Beispielsweise wird der Vers 193 aus der Sure Baqara ”Und führt gegen sie den bewaffneten Kampf, damit es keine Fitna gibt und die Religion (Din) (nur) für ALLAH (praktiziert wird). Und wenn sie sich (der Aggression) enthalten, dann gibt es keine Aggression außer gegen die Unrecht-Begehenden.”, dahin interpretiert, dass man, um zum Frieden zu gelangen, jede Bedingung des Feindes, wie negativ sie auch ausfallen, akzeptieren muss. (Mohammed, 171.)

 

III.

In den untersuchten Werken von Armstrong sind ebenfalls ein paar Falschinformationen oder Wissenslücken zu beobachten, wovon im Folgenden einige Beispiele angeführt werden.

Der Autorin zufolge hat der Prophet Mohammed (sav) während der ersten Offenbarung nicht den Satz “Ich kann nicht lesen” ausgesprochen, sondern “Ich bin kein Dichter”, weil er dachte, dass er von Geistern (Dschinn) befallen wurde; weiterhin behauptet sie, dass Mohammed (sav), nachdem er die erste Offenbarung erhalten hatte, anfing, den Berg hinauf zu klettern, um sich das Leben zu nehmen, bevor ihm der Engel Gabriel (as) noch mal erschien (Mohammed, 9, 34.).  Die Information, dass der Erzengel dem Propheten nach der ersten Offenbarung zum zweiten Mal begegnet ist, ist ebenso unrichtig, wie die Behauptung, Mohammed (sav) sei auf dem Weg gewesen, Selbstmord zu begehen, denn dazu gibt es in den Kutub as-Sitta Werken keinerlei Informationen.

Die Autorin behauptet, dass der Prophet die Geschichten der früheren Propheten kannte (Mohammed, 10), was jedoch mit dem 13. Vers der Sure Yusuf nicht in Einklang zu bringen ist.

Als Folge ihrer Kritik der patriarchalen Strukturen der Religionen behauptet die Autorin, dass mit der Offenbarung der Sure Kadir die Grenzen zwischen den femininen und maskulinen Pronomen aufgehoben wurden, wozu sie Folgendes sagt: “insbesondere bei den Pronomen gibt es eine Zweideutigkeit / Unentscheidbarkeit zwischen dem Femininem und Maskulinem”; aus diesem Vers lässt sich so etwas jedoch nicht ableiten. (Mohammed, 36.)

Die Autorin nimmt an, dass das Ereignis um die Teufelsverse (Garanik) wirklich stattgefunden hat und versucht, dieses Ereignis mit Versen über das Fürspracherecht der Engel in Verbindung zu setzen, wobei sie die genannten Verse vollkommen falsch versteht. Sie versucht die Beziehungen zwischen dem Propheten und den Quraisch und deren zunehmend feindliche Haltung mit dem Garanik Ereignis zu erklären, wobei sie diesem Ereignis eine zentrale Rolle beimisst und das gesamte Verhältnis mit den Quraisch über dieses zu deuten versucht, was (weil es eine komplette Rekonstruktion historischer Ereignisse bedeutet) vollkommen falsch ist. (Mohammed, 56-63.)

 [Erklärung: In der Garanik-Geschichte wird behauptet, dass, während dem Propheten die Verse 19 und 20 der Sure Nadschm offenbart wurden, der Teufel dazwischen gegangen sei und ihm den Ausspruch “diese sind die erhabenen Garanik, auf deren Fürsprache man hofft” eingeflüstert habe, wodurch Muahmmad (sav) die Götzenstatuen gelobt habe. Karen Armstrong behauptet, dass Mohammed (sav) diesen Satz ausgesprochen hatte, um Frieden mit den Quraisch herzustellen, aber im Nachhinein habe er dem Teufel die Schuld gegeben. Dabei stellte er die Götzen nicht auf die gleiche Stufe wie Allah, so Armstrong, sondern sah diese nur als Vermittler. So sagt sie beispielsweise, dass auch die Engel in der gleichen Sure zur Fürsprache berechtigt seien und Mohammed (sav) habe nichts anderes behauptet, als dass auch die Götzen Fürsprache einlegen können. Der Fehler liegt darin, dass die Muslime keineswegs akzeptieren, dass ein solches Ereignis überhaupt vorgefallen ist. Aber auch wenn wir dies annehmen würden, hat Armstrong die Verse über die Fürsprache der Engel falsch interpretiert. In diesem Vers heißt es: “Und wie viele Engel gibt es in den Himmeln, deren Fürbitte nichts nützt, es sei denn, nachdem ALLAH zustimmt, wem ER will und an dem ER Wohlgefallen hat.”. Zusätzlich zu diesen Fehlern erzählt sie die Auseinandersetzung des Propheten Mohammed (sav) mit den Quraisch vollkommen im Lichte dieses Ereignisses und misst diesem eine zentrale Rolle bei. Durch die Teufelsverse habe man sich mit den Quraisch geeinigt, als jedoch der Prophet sich von diesen (teuflischen) Aussagen distanzierte, wurden die beiden Parteien über Nacht wieder zu Feinden, so Armstrong. Sie rekonstruiert demnach die Geschichte der Beziehungen mit den Quraisch vollkommen aus der Perspektive dieses Ereignisses.

Die Autorin behauptet, dass die ersten Verse der Sure Abasa einen Wendepunkt darstellen und eine Warnung beinhalten, alle Menschen gleich zu behandeln (Mohammed, 66). Es ist zwar richtig, dass die Sure Abasa eine Warnung beinhaltet, dass sie aber einen Wendepunkt darstellt und der Prophet sich erst nach diesem Vers an die gesellschaftliche Unterschicht widmete, ist daraus nicht zu entnehmen.

Die Autorin versucht, ausgehend von den Versen im Koran, welche die Gleichbehandlung aller Propheten befehlen, eine deistische Haltung, aus dem Koran heraus zu legitimieren, ihm diese sogar zuzuschreiben; gemäß derer man sich nicht einer bestimmten Religion als Institution, sondern Gott unterwerfen solle, (Mohammed, 86.).

Die Autorin erwähnt, der Prophet habe seine Frauen kein einziges Mal geschlagen, habe aber trotzdem die Anfragen auf eine Erlaubnis für eine solche Tat akzeptiert und das Schlagen der Frau erlaubt, um bei den Auseinandersetzungen mit Mekka nicht die Unterstützung der Muslime zu verlieren; diese Erklärung ist vorher in keiner anderen Quelle vorzufinden. (Mohammed, 146.)

Ihre Aussagen bezüglich der Ehe des Propheten mit Zaynab sind dermaßen problematisch, dass man diese nicht mal in den historischen Quellen zu überprüfen braucht. (Mohammed, 154-156.)

 [Erläuterung: Die Ehe des Propheten mit der von seinem befreiten Sklaven Zayd geschiedenen Zaynab sorgt im Westen meistens für Diskussionen. Auch Armstrongs Haltung erinnert an diese Diskussionen, denn sie erwähnt, der Prophet habe Zaynab, bevor sie geschieden war, in ihrer Hauskleidung gesehen, sich sofort in sie verliebt und sie nach ihrer Scheidung direkt geheiratet. Sie erwähnt darüber hinaus, dass diese Haltung des Propheten eine mit der christlichen Enthaltsamkeit und Weltabgewandtheit nicht übereinstimmendes Prophetenbild zeichnet und deswegen die westlichen Forscher irritiert(e). Es ist unakzeptabel, die Ehe zwischen dem Propheten und Zaynab auf einer solchen Art und Weise darzustellen. Denn der Prophet hatte keineswegs den Wunsch gehabt, eine Ehe mit Zaynab einzugehen, ganz im Gegenteil er hatte dies stets abgelehnt. Doch ist diese Ehe aufgrund eines koranischen Befehls zustande gekommen und damit die in der Zeit der Dschahiliya sehr verpönte und strikt verbotene Ehe der Männer mit den Frauen ihrer Pflegekinder für erlaubt erklärt. Der Grund, warum ich dieses Thema nur mit einem Satz und ohne Kommentar erwähne, liegt in der Tatsache, dass ich die westliche Polemik nicht noch einmal aufrollen möchte.]

Die Aussage, dass die Kopftuchpflicht nur für die Frauen des Propheten gültig gewesen sei, aber nach drei Generationen auf alle Frauen erweitert wurde ist ein weiteres Beispiel für eine Fehlinformation. Darüber hinaus behauptet Armstrong, dass das Kopftuch nur aufgrund der Beharrlichkeit Omars befohlen wurde, was darauf hindeutet, dass sie das Phänomen der Offenbarugsanlässe nicht ganz verstanden hat. Aber im Grunde genommen ist dies eine Folge ihrer bereits erwähnten Haltung bezüglich der Offenbarung im Allgemeinen. (Mohammed, 157-8.) 

Bezüglich der Gerüchte über Aischa und Safwan b. Al-Muattal im Zuge des Ifk (Verleumdungs)-Ereignisses bemerkt die Autorin: “Das alte Gerücht über ihr gesetzwidriges Verhältnis tauchte wieder auf” und wirft damit eine unbelegte These auf. (Mohammed, 161.)

Zum Schluss ist noch zu erwähnen, dass Maymuna nicht, wie die Autorin behauptet, die Schwester von Abbas ist, sondern die Schwester seiner Frau. Ansonsten müsste der Prophet mit seiner eigenen Tante verheiratet gewesen sein. (Mohammed, 182.)

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Karen Amstrong, ausgehend von ihrer These, dass alle Religionen lediglich verschiedene Ausdrucksformen der gemeinsamen Wahrheit seien, durch ihren Respekt gegenüber allen religiösen Traditionen heraussticht. In ihren hier untersuchten zwei Büchern fällt sie mit ihrem Versuch, den Islam und den islamischen Propheten als ein Teil dieser universalen religiösen Tradition gegenüber den Vorurteilen im Westen zu verteidigen, auf. Es ist zwar lobenswert, dass sie zunächst die Ereignisse zu verstehen versucht, bevor sie diese beurteilt, aber da sie außer einigen Ausnahmen keine Primärquellen für ihre Ausführungen verwendet hat, können ihre Werke nicht als eine fundierte Quelle für die bearbeiteten Themen gelten. Die hin und wieder auftauchenden Wissenslücken bekräftigen diese These. Aber das eigentliche Problem dieser Werke ist, abgesehen von den Informationsfehlern, die Herangehensweise selbst. Die Autorin nähert sich nicht nur dem Islam, sondern den Religionen im Allgemeinen aus der anthropozentrischen Perspektive. Dies spiegelt sich wiederum in ihrem Offenbarungsverständnis wieder, weshalb sie die Gebote im Islam nicht aus einer universalen Perspektive, sondern stets aus den historischen Situationen heraus pragmatisch zu erklären versucht. Letztlich kann man sagen, dass diese Werke nicht für Muslime, sondern für den westlichen Leser verfasst wurden, in denen besonders die Themen, die in der westlichen Öffentlichkeit stark diskutiert werden, wie Dschihad, Polygamie, die Frau im Islam, Haltung gegenüber Nichtmuslime, bearbeitet wurden und die Autorin aus ihrem eigenen Religionsverständnis heraus den Islam zu erklären versuchte.

 


 

(1) Karen Armstrong: Eine kleine Geschichte des Islam, bvt Berliner Taschenbuchverlag, 2005 (Englische Originalausgabe: A Short History of Islam, New York: Random House, 2002.) 
(2) Karen Armstrong: Mohammed: Religionsstifter und Staatsmann, Heyne, 1995 (Englische Originalausgabe: Mohammed: A Prophet of Our Time,  New York: Harper One, Neuauflage 2007.) 
(3)Fatma Kizil erhielt die Hadith-Sira-Auszeichnung von www.derletzteprophet.info im Jahre 2010 für ihre Nachdiplomarbeit über die Hadithforschung der Orientalisten (1848-1950) unter der Aufsicht von Prof. Dr. Ibrahim Hatipoglu an der Theologischen Fakultät der Universität Uludag.