Frauen in der muslimischen Zivilisation

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Freitag, 27. August 2010

Frauen in der muslimischen Zivilisation

Frauen in der muslimischen Zivilisation: Al-Muhaddithat von Mohammed Akram Nadwi

 

Mohammad Akram Nadwi, Al-Muhaddithat: The Women Scholars of Islam. Oxford&London: Interface Publications, 2007.

Mohammed Akram Nadwi, Verfasser eines vierzigbändigen biografischen Lexikons über weibliche Hadith-Gelehrte (Al-Muhaddithat), sprach im März 2010 in Istanbul über die Rolle der Frauen in der islamischen Zivilisation. Nadwi ist ein Hadith- und Fiqh (islamische Rechtswissenschaft) - Gelehrter und derzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter am Oxford Centre for Islamic Studies. Er hat über 25 Bücher in den Bereichen Fiqh, Hadith, islamische Biografie, arabische Grammatik und Satzbau veröffentlicht und besitzt einen Abschluss in Hadith und Fiqh des prestigeträchtigen Nadwat al Ulama in Lucknow. Seinen Doktortitel in arabischer Sprache erhielt er von der Universität Lucknow.

Die Stellung der Frau im Islam ist ein Thema, worüber seit vielen Jahren sowohl in der westlichen als auch in der muslimischen Welt diskutiert wird. Nadwi begann die Arbeit an diesem Werk vor zehn Jahren in der Meinung, die Biografien der weiblichen Hadith-Gelehrten würden höchsten einen Band füllen. Nach Vollendung musste er feststellen, dass es vierzig Bände geworden waren, von denen bis jetzt nur die Einleitung, welche viele biografische Beispiele enthält, als Buch ins Englische übersetzt wurde. Mit diesem Werk bringt Nadwi die Fachfrauen ans Tageslicht, die in Vergessenheit geraten sind, welche jedoch seit Jahrhunderten einen unverzichtbaren Beitrag zur Bildung der islamischen Rechtswissenschaft geleistet haben.

Er beschreibt, wie muslimische Frauen in Lerngruppen aktiv waren und zitiert deren Namen sowie die angesehensten Zentren, in denen sie unterrichteten. Nadwi erzählt von den muslimische Frauen, die in der Moschee des Propheten Mohammed (sav) - zu seiner Lebzeit und danach - lehrten und sowohl Frauen und als auch Männer unterrichteten. Jahrzehntelang waren die Städte Damaskus, Kairo und Basra Zentren der islamischen Bildung und Hunderte von weiblichen Gelehrten lehrten an Koranschulen und in den wichtigen Moscheen dieser Zentren. Experten und Expertinnen hielten Vorträge und lehrten an den renommiertesten Zentren, ohne dass Letztere in irgendeiner Form diskriminiert worden wären.

Ein markantes Beispiel für den Status von Frauen in der islamischen Tradition stammt aus der Zeit des Kalifen Umar. Während seines Kalifats war der Inspektor des berühmten Basars (Handelszentrums und Warenumschlagplatzes) von Medina eine Frau. Zu ihrer Aufgabe zählte das Überprüfen aller Geschäftsvorgänge und Vorschriften dieses Basars, zu dem Händler aus dem ganzen Land kamen. Dies war keine leichte Aufgabe, und niemand hätte ihre Position, ihre Fähigkeit oder ihr Urteilsvermögen angezweifelt.

Nadwi weist auch darauf hin, dass die aktuelle, heute überall verwendete Ausgabe des Koran die Kopie der Hafsa bint Umar, der Tochter des Kalifen Umar, ist. Die ersten sechs Exemplare des Korans stammten aus ihrer Kopie und sie wurden überall in die muslimische Welt gesandt. Niemand hat Hafsa jemals beschuldigt, sie sei nicht in der Lage, den Koran angemessen zu bewahren und vor Verfälschungen zu schützen oder gar behauptet, sie hätte Verse entfernt, die sie für Frauen ungeeignet fand. Niemand stellte ihre Vertrauenswürdigkeit für den Schutz des wichtigsten Buches der göttlichen Offenbarung der Muslime jemals infrage.

"Ein Viertel der islamischen Scharia (Rechtsprechung) beruht auf der Lehre von Frauen" sagt Nadwi. Die Interpretation der Fachfrauen spielte bei der Entwicklung der aktuellen Formen der Rechtsprechung eine wesentliche Rolle. Viele berühmte Gelehrte, darunter Imam Abu Hanifa, Imam Malik, Imam Schafi und Imam Bukhari, hatten Frauen als Lehrerinnen und Schülerinnen. Von Imam Bukhari ist überliefert, dass er allein in Basra mit siebzig weiblichen Gelehrten die Hadith studiert habe.

Ummu Darda, die Frau des Sahaba Abu Darda, lehrte sechs Monate im Jahr in Damaskus und dann reiste sie nach al-Quds (Jerusalem) um dort für weitere sechs Monate zu lehren. Ibn Marwan, der damalige Kalif und ein anerkannter Gelehrter, war einer ihrer Schüler.

Zaynab bint al Kamal (gest. 740 Hidschri) lehrte an allen großen Moscheen von Damaskus. Sie unterrichtete auch an den Sufi-Halqa (Versammlungen), an denen unter anderem auch Wissen vermittelt wurde. Die meisten ihrer Schüler waren Männer, ersichtlich aus den Namenlisten, denn nach jedem Unterricht wurden alle Namen der Teilnehmer aufgezeichnet. Sie war eine bekannte Gelehrte ihrer Zeit und einige ihrer Klassen wurden von mehr als vierhundert Studenten, meist männlichen, besucht.

An der berühmten Ummayyaden-Moschee in Damaskus durften nur die prominentesten und besten Gelehrten eines Faches lehren. Aischa bint Abdulhadi (gest. 840 Hidschri) lehrte das Buch von Bukhari; ihre Überlieferungsreihe des Sahih al-Bukhari ist die beste. Sie hatte ein Stipendium von der Regierung erhalten und war von dieser beauftragt worden, an den prestigeträchtigsten Moscheen des Landes zu unterrichten.

Fatma al-Juzdaniyya war aus dem Dorf Juzdan in Iran. Sie war berühmt für ihr Hadithwissen, und im Verlauf ihres Lebens kamen viele Menschen aus der ganzen muslimischen Welt zu ihrem Dorf, um von ihr zu lernen. Eine ihrer Schülerinnen war eine ‚Sucherin des Wissens‘, eine Gelehrte aus Südspanien, Fatma binti Sa'd'ül-Hayr'ın, die auf ihrer Studienreise über Kairo, Damaskus, Bagdat, Isfahan, Rey, Nischabur, Tus, Buchara, Samerkand und Kaschgar bis nach China reiste und von dort nach Juzdan im Iran, um von Fatma "Ilm al- Hadith (Hadithwissenschaften)" zu lernen.

Nadwi betont, dass die weiblichen Gelehrten ein ganz natürlicher Bestandteil der Gelehrtenlandschaft waren. Es gab sogar berühmte Paare, die gemeinsam unterrichteten. Es gab viele berühmte Gelehrte, die nicht zögerten, ihren Frauen Anerkennung zu schenken, da sie über das Gebiet, dass sie gemeinsam studierten, mehr Wissen besaßen als sie selbst. Viele dieser Gelehrten hatten auch Töchter, die berühmte Gelehrte wurden. Frauen, die über Fragen der islamischen Rechtswissenschaft gut fundierte Ansichten äußerten, wurden respektiert und ihre Urteile wurden nicht verworfen, auch wenn sie mit deren anderer Gelehrter der Zeit im Widerspruch standen. Wenn die Urteile auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierten, besaßen diese das gleiche Gewicht wie die der männlichen Gelehrten; Frauen wurden ermutigt, ihre Stellungnahmen zu äußern.

Nadwi betont, dass er während seiner Forschungen bemerkte, dass in den letzten vier Jahrhunderten die Zahl der weiblichen Gelehrten gesunken ist. Er macht für diesen Rückgang den Einfluss der griechischen Philosophie verantwortlich, in derer Frauen eher als minderwertig wahrgenommen wurde. Außerdem betonte er, dass seiner Meinung nach die derzeitige muslimische feministische Bewegung eine reaktionäre Bewegung ist, welche die Muslime nicht benötigten. Muslime sollten nur sorgfältig ihre Religion studieren und einen Blick in ihre eigene Geschichte werfen, anstatt zu versuchen, sich gegen ihnen von außen auferlegte Vorwürfe zu wehren.

Nadwis Werk beinhaltet viele interessante Geschichten und erstaunliche Berichte über weibliche Hadithgelehrte und ihren Platz in der islamischen Rechtswissenschaft. Die Einführung des Buches Muhaddithat, in dem er über viele dieser interessanten Berichte schrieb, wurde ins Englische übersetzt und es ist zu hoffen, dass es Muslimen helfen wird, den Reichtum ihrer Tradition und Geschichte wieder zu entdecken.