Alle paar Monate geraten die umstrittenen Karikaturen, welche bei ihrer Veröffentlichung im Jahre 2005 zu weltweiten Protesten geführt hatten und von der europäischen Presse seitdem als Maßstab der Meinungsfreiheit (miss-) gebraucht werden, neu gedruckt wieder in die Schlagzeilen. So wurden sie nach dem Angriff auf den dänischen Karikaturisten Westergaard vor ein paar Tagen in Norwegen wieder veröffentlicht.
Wir verfolgen die Karikaturkrise genau, ist sie und die Diskussionen um diese doch ein Mitgrund des Entstehens dieser Webseite.
Ein grundliegender Unterschied zwischen dem islamischen Verständnis, welches in den Karikaturen einen gezielten Angriff auf den von Muslimen mit höchstem Respekt und unendlicher Liebe verehrten Propheten sieht, wurde in der westlichen Welt die Diskussion auf einer ganz anderen Ebene geführt. Im Unverständnis für die Wertschätzung, welche im islamischen Glauben einem einzigen, dem für die Gläubigen wichtigsten Menschen überhaupt, entgegengebracht wird, werden die Diskussionen und Polemiken im Rahmen von Meinungs- oder Pressefreiheit geführt. Die durch die Aufklärung gewonnenen Werte der westlichen Gesellschaft werden, da angeblich durch die Reaktionen aus der islamischen Welt in Gefahr, vehement verteidigt. Die Empörung von Muslimen über die in den Karikaturen gezeigte Respektlosigkeit wird meist pauschal abgetan als entweder die Reaktion von totalitären Regimen, welche die Krise angeblich für ihre eigene Sache missbrauchen, oder aber als solche von verblendeten, noch nicht in der Moderne angekommenen Gläubigen. Es wird auch stets auf das Gewaltpotenzial hingewiesen, das in diesen Reaktionen offen oder latent, immer vorhanden sei und welches eine direkte Bedrohung des Westens darstelle. In all den Stimmen aus der westlichen Presse findet man selten Artikel, die sich objektiv mit dem Problem befassen. Einer sei hier genannt: der außerordentlich intelligent verfasste Artikel von Thomas Maissen („Was bedeutet Toleranz heute?", NZZ online: 6.Feb 2006):
„...Eine verantwortungsvolle Presse schürt solche Konflikte nicht, schon gar nicht in einer aus vielen Gründen ohnehin schwierigen Beziehung. Wenn einige der Karikaturen den Islam mit Gewalt assoziieren, so hat das ja nicht nur mit der christlichen Fremdwahrnehmung, sondern auch mit der Selbstdarstellung allzu vieler Muslime zu tun. Toleranz heißt also nicht bedingungslose Duldsamkeit. Es gibt nicht nur Rechtsnormen, es gibt auch kulturelle Werte, die für uns Abendländer unverhandelbar sind. Doch wenn auf dieser Welt statt autistischer Monologe ein interkultureller Dialog geführt werden soll, muss dieser unverhandelbare Wertekatalog möglichst eng definiert werden. Es darf sich nicht jede, zumal jede selbst verursachte Komplikation zu einer Staatsaffäre zu einem Prinzipienstreit auswachsen. Was verlieren wir an Freiheit, an Lebensqualität, an Selbstverwirklichungsmöglichkeiten, wenn wir freiwillig, respektvoll oder tolerant darauf verzichten, den Propheten einer anderen Religion zu karikieren oder überhaupt darzustellen? Nichts."...
Maissen hat hier, als einer der Wenigen, darauf hingewiesen, dass es sich bei der karikaturierten Person um den Propheten des Islam handelt und nicht um irgendeinen „gewöhnlichen" Menschen, zu denen auch Staatsoberhäupter gehören. Karikaturen sind in der islamischen Welt gang und gäbe, und dies seit Jahrhunderten.
Hier zur Erinnerung eine kurze Zusammenfassung der Geschehnisse seit 2005.
Was in Dänemark geschah:
Am 30. September 2005 wurden die 12 Karikaturen, auf denen der Prophet und Muslime als Terroristen dargestellt waren, in der dänischen Zeitung Jyllands-Posten veröffentlicht. Innert kurzer Zeit zog Dänemark mit dieser Veröffentlichung die Proteste und Reaktionen der Zivilbevölkerung und der Regierungen der islamischen Welt und Europa auf sich. Obwohl sich die Situation immer mehr zuspitzte, unternahm die dänische Regierung und die nationale Presse nichts, um diese zu entspannen. Mit der Veröffentlichung der Karikaturen in Norwegen am 18. Januar 2006 hatte die Krise die Grenzen Dänemarks überschritten. Eine weltweite Krise entstand. Während die Reaktionen aus der islamischen Welt immer heftiger wurden, verkündeten mehrere europäische Zeitungen, allen voran France Soir und Die Welt ihre Solidarität mit Dänemark und Norwegen, indem sie die Karikaturen auch veröffentlichten. France Soir verkündete, dass "sie das Recht habe, sogar Gott zu karikaturisieren", und Die Welt doppelte nach mit "Angriffe auf die Religion sind eine demokratische Freiheit". Diesen provokativen Haltungen folgten die Presse von Spanien, Italien, Schweden und anderen europäischen Länder. Eine distanzierte, sachliche Haltung konnte nur in England beobachtet werden. Dort hatte die Presse gemeinsam beschlossen, die Karikaturen nicht zu veröffentlichen.
Die Reaktionen auf die Karikaturen hatten sich zu gewalttätigen Protestveranstaltungen entwickelt. Gegen Dänemark und Norwegen wurden Handelsboykote verhängt. Diese Boykotte verfehlten ihre Wirkung nicht, und so musste sogar die Handelskommission der Europäischen Gemeinschaft einschreiten. Manche arabischen Länder wie z. B. Saudi-Arabien zogen ihre diplomatischen Vertretungen ab und schlossen diejenigen Dänemarks in ihren Ländern. Die europäische Presse weigerte sich, ihre Position zu ändern und berief sich dabei auf die Gedanken- und Pressefreiheit.
Schwedischer Generalkonsul von Istanbul: Die Karikaturen sind widerlich
Auf dem Höhepunkt der Spannungen, im Februar 2006, äußerte sich der schwedische Generalkonsul in Istanbul, Ingmar Karlsson auf BBC Türk (bbcturkish.com, 2. Februar 2006) im Bezug auf die oben genannte Pressefreiheit: "...Wenn sich die Karikaturen inhaltlich auf Juden bezogen hätten, wäre von manchen Leuten Anklage erhoben worden mit der Begründung, sie seien rassistisch und förderten die Fremdenfeindlichkeit ..." Diese Äußerung Karlssons, der auch durch seine akademischen Arbeiten und sein intellektuelles Niveau hervorsticht, war deshalb so wichtig, da sie eine Brücke schlägt zum Judentum und Antisemitismus. Karlsson, der unter anderem Autor eines Buches mit dem Titel Islam und Europa: Konfrontation oder Koexistenz? ist, teilte des Weiteren die Meinung, dass die europäische Presse parteiisch und unsensibel vorgegangen sei: "...Ich muss wirklich sagen, dass diese Karikaturen widerlich sind. Ich denke nicht, dass viele Leute den Islam aufgrund dieser Karikaturen beurteilen. Ich bin mir sicher, dass die meisten Leute eine reifere Vorstellung vom Islam haben."
Auch in der Türkei gab es Reaktionen auf die Karikaturen. Bei den weltweiten Protestaktionen hatten leider 140 Menschen ihr Leben verloren.
Auch nach der Krise, die erst nach fast sechs Monaten beigelegt wurde, reicht ein kleiner Funke, um die Reaktionen wieder zu entfachen. So hat die Nachricht im letzten Jahr, eine der Karikaturen des Karikaturisten Westergaard solle in großer Anzahl gedruckt und verkauft werden, wieder für Aufruhr gesorgt. In den ersten Tagen des neuen Jahres wurden die Karikaturen wie eingangs erwähnt, erneut veröffentlicht. Auch der Angriff auf Westergaard sorgte für Schlagzeilen in allen Zeitungen.