Am 10. Muharram 61 (10. Oktober 680 n. Chr.) wurde der Enkel des Propheten, Husain b. Ali, zusammen mit seinen Gefährten in Karbala in der Nähe von Qufa ermordet. Dieses Ereignis hatte bedeutende Auswirkungen auf die religiösen, politischen, sozialen und kulturellen Entwicklungen der Islamischen Geschichte.
Um das Geschehen in Karbala zu verstehen, ist es nötig, einen Blick auf einige diesem Geschehen vorangegangenen Vorfälle zu werfen: Kurz nach dem Tode des Kalifen Muawiya im Jahre 49 (669 n. Chr.) begann der Bruder von Husain, Hasan bin Ali, dem Volke den Sohn dieses verstorbenen Kalifen mit dem Namen Yazid, als Nachfolger nahe zu legen. Nach etwa fünfjährigen Bemühungen hatte ein großer Teil des Volkes Yazid als Nachfolger akzeptiert. Der ernsthafteste Widerstand gegen seine Ernennung jedoch kam von den bedeutendsten Personen des Hidschaz, von Husain b. Ali, Abdullah b. Zubayr, Abdullah b. Umar und Abdurrahman b. Abu Bakr. Sie waren als Nachkommen der ersten Muslime bedeutende Persönlichkeiten ihrer Zeit, die auch die Zeit des Propheten noch begreifen konnten.
Die Bemühungen der Regierung endeten damit, dass Yazid im Jahre 56 (676 n. Chr.) offiziell als Nachfolger anerkannt wurde. Die Gegner, die es ablehnten, Yazid die Treue zu schwören, behaupteten, dass dieses System der Thronfolge, also die Vererbung des Titels vom Vater auf den Sohn, byzantinischer Brauch und das Kalifentum von Yazid unrechtmäßig sei. Eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der Gegner war Husain, das zweite Kind der Tochter des Propheten, Fatima und ihres Gatten Ali. Husain war die Erziehung seines Großvaters zuteilgeworden; er war ein von den Muslimen geachteter, bedeutender Gelehrter seiner Zeit. Yazid hingegen hatte seine Jugend bei seinen Onkeln, den Banu Kalb, in der Wüste verbracht. Er war zwar geeignet als Stammesführer, es fehlte ihm jedoch die Erziehung, um die damalige Gemeinschaft regieren zu können. Er war eine Person, welche Gefahr lief, durch die Verantwortung des Kalifentums erdrückt zu werden.
Nachdem Muawiya im Jahre 60 (680 n. Chr.) gestorben war, sandte man Nachricht in die Provinz, um den Treueeid (Bay’a) für Yazid als Kalif zu erhalten. Da die Oppositionsführer im Hidschaz über Eigenschaften verfügten, die sie als Konkurrenten erscheinen ließen, legte Yazid großen Wert auf ihre Treue. Deshalb schrieb Yazid sofort nach seiner Ernennung zum Kalifen einen Brief an den Gouverneur von Medina, um von Husain b. Ali, Abdullah b. Zubayr, und Abdullah b. Umar den Treueschwur zu erhalten. Darüber hinaus befahl er, dass man, sollten sie den Treueeid verweigern, Druck ausüben solle. Abdullah b. Umar, dessen Name mit der Gegnerschaft in Verbindung stand, sagte, dass er nicht gegen die Entscheidung der Gemeinde handeln würde und dass er nach dem Treueeid des Volkes ebenfalls Treue schwören würde. Husain und Abdullah b. Zubayr hingegen antworteten auf die Treueforderung des Gouverneurs von Medina mit einer Flucht nach Mekka, bei der beide verschiedene Wege gingen. Ihre Absicht war es nicht, sofort einen Aufstand zu beginnen, sondern vielmehr dem Druck des Gouverneurs von Medina zu entkommen. Sie glaubten, dass sie in Mekka, wo auch das Bayt Allah (das Haus Gottes), die Kaaba, sich befand, die Möglichkeit haben würden, sich freier zu bewegen.
Einige Zeit nach ihrer Ankunft in Mekka bekam Husain Briefe aus Qufa, wo eine große Anzahl von Anhängern seines Vaters lebte. Es wird berichtet, dass die Einwohner von Qufa zahlreiche Briefe, in denen sie Husain einluden, geschickt hatten. Da die Briefe von den führenden Persönlichkeiten der Stadt kamen, bedeuteten sie, dass ein großer Teil der Bevölkerung von Qufa Husain unterstützte. Nachdem die Einladungen sich häuften, sandte Husain den Sohn seines Onkels, Muslim b. Aql nach Qufa, um die Lage zu erkunden und ihn zu informieren. Muslim, der in Qufa großes Aufsehen erregte, begann in Vertretung Husains Treueeide entgegenzunehmen. In kurzer Zeit betrug die Anzahl der Treue schwörenden Bevölkerung über zwölftausend. Daraufhin schrieb Muslim einen Brief an Husain, in dem er ihn aufforderte, nach Qufa zu kommen, da ein großer Teil der Einwohner ihm Treue geschworen hätte.
Während Muslims Aufenthalt in Qufa war Numan b. Baschir Gouverneur der Stadt. Als er von den Aktivitäten Muslims erfuhr, hielt er eine Rede in der Moschee, in der er die Menschen aufforderte, sich nicht in die Intrigen hineinziehen zu lassen, sonst würden sie dafür büßen. Numan wollte keine Gewalt gegen die Gegner anwenden; dieses nachsichtige Vorgehen wurde Yazid durch Zuträger übermittelt. Daraufhin enthob Yazid Numan sofort seines Amtes und setzte den Gouverneur von Basra, Ubaydullah b. Ziyad, auch in Qufa ein. Der neue Gouverneur war der Sohn von Ziyad b. Abih, einem der vier großen arabischen Denker, der für seine Treue zu den Umayyaden bekannt war. Der neue Gouverneur scheute sich auch nicht, Gewalt anzuwenden, wenn es um die Verteidigung der umayyadischen Regierung ging.
Ubaydullah zog sofort in den Gouverneurspalast in Qufa ein und beherrschte schon nach kurzer Zeit die Stadt. Beim Eintreffen Ubaydullahs verbarg sich Muslim und setzte seine Aktivitäten im Geheimen fort. Durch einen Zuträger erfuhr Ubaydullah seinen Aufenthaltsort. Er ließ Muslim gefangen nehmen und tötete ihn auf dem Dach des Palastes.
Nachdem Husain Muslims Brief erhalten hatte, brach er auf und begegnete unterwegs dem berühmten Dichter Ferazdak, den er nach der Lage in Qufa fragte. Ferazdak berichtete über die Situation in der Stadt mit diesen Worten: „Die Herzen der Menschen sind mit dir, doch die Schwerter sind mit den Umayyaden. Der Sieg jedoch ist bei Allah!„
Unterwegs erfuhr Husain, dass Muslim umgebracht worden war und vom Verrat der Einwohner von Qufa. Daraufhin beriet er sich mit seinen Verwandten und Freunden, die mit ihm unterwegs waren, ob er weiterreisen solle oder nicht. Auf ihr Drängen hin entschloss er sich schließlich, seinen Weg nach Qufa fortzusetzen.
Um Husain auszuschalten, schickte Ubaydullah ihm Hur b. Yazid an der Spitze einer tausendköpfigen Armee entgegen. Während ihrer Begegnung erinnerte Husain diesen daran, dass Qufa ihn erwartete; doch Hur entgegnete ihm daraufhin, dass es seine Aufgabe sei, ihn nach Qufa zu bringen. Als Husain dies ablehnte, einigten sie sich darauf, dass Hur zu Ubaydullah b. Ziyad, in die Nähe von Qufa gehen, und seine Meinung einholen würde. Auf diese Weise erreichte Husain in Begleitung der Soldaten von Hur b.Yazid Qufa. Hurs Soldaten verrichteten an den Orten, an denen sie lagerten, ihre Gebet hinter Husain als Vorbeter und erwiesen ihm somit Achtung. Als Ubaydullah erfuhr, dass Husain in Karbala lagerte, setzte er Umar, den Sohn Sad b. Abi Waqqas, als Kommandant gegen ihn ein.
Es war kein Zufall, dass Umar b. Sad an die Spitze der Armee gewählt wurde. Die Beauftragung eines Husain ebenbürtigen, aus dem Stamme der Quraisch stammenden Mannes war für das Überzeugen der Soldaten von großer Bedeutung. Umar zog mit seiner viertausend-köpfigen Armee nach Karbala, wo sich Husain befand. Unter Ausübung von Druck erreichte Ubaydullah, dass sich viele Männer, darunter auch solche, die Husain eingeladen hatten, der Armee anschlossen. Inzwischen hatten einige hundert Leute, die sich Husain angeschlossen hatten und nun sahen, dass die Lage ernst war, ihn unterwegs verlassen.
Umar b. Sad hatte nicht geglaubt, dass die möglichen Entwicklungen zur Ermordung Husains führen würden. Vielleicht nahm er an, dass er, nach der Lösung der Probleme durch Verhandlungen, zu seiner eigentlichen Aufgabe zurückkehren würde. Er begann, sofort nach seiner Ankunft in Karbala, mit Husain zu verhandeln. Husain verlangte, dass er, nachdem er auf die Einladungen der Einwohner von Qufa nach Karbala gekommen war, nun aber diesen Einladungen nicht Folge leisten könne, zurückkehren dürfe. Das Begehren Husains wurde Ubaydullah b. Ziyad mitgeteilt, dieser aber verlangte von Husain, Yazid den Treueeid zu leisten. Daraufhin schlug Husain Umar drei Möglichkeiten vor: 1. Die Erlaubnis zur Rückkehr nach Medina, 2. nach Damaskus zu reisen, um mit Yazid persönlich zu sprechen oder 3. in eines der Randgebiete zu reisen, um gegen die Ungläubigen zu kämpfen. Der Überlieferung nach befahl daraufhin Ubaydullah Umar, von Husain die Ergebung zu fordern, andernfalls gegen ihn zu kämpfen.
Den Befehl, sich Ubaydullah zu ergeben, empfand Husain als beleidigend und er akzeptierte ihn nicht. Ihm war nun bewusst geworden, dass der Krieg unvermeidbar war, deshalb sagte er seinen Anhängern, dass sie sich vor dem Beginn der Kämpfe entfernen könnten, dass das Ziel Ubaydullahs er selbst sei, und dass sie deshalb, um ihr Leben zu retten, besser den Ort verlassen sollten. Als sich seine Gefährten jedoch weigerten, ihn zu verlassen, bildeten sie eine kleine militärische Truppe.
Abbildung: Türbe (Grabmal mit den nach Damaskus gesendeten Köpfen der Märtyrer von Karbala)
Seine Rede vor den Kämpfen, in der er seine und seines Vaters Position noch einmal darstellte und die Bewohner von Qufa an ihr Versprechen erinnerte, zeigte kaum Wirkung. Allein Hur b. Yazid und einige Personen, die gleicher Meinung waren, reagierten auf die vernünftigen Vorschläge Husains und traten auf seine Seite über, sie fielen alle während der Kämpfe. Nachdem die Zusammenstöße begonnen hatten, wurden sämtliche Anhänger Husains vor seinen Augen getötet. Dann traf auch Husain ein Pfeil. Als dann schließlich Ubaydullah Husains Familie mit dem abgetrennten Haupt Husains nach Damaskus schickte, weinte Yazid und gab sich betrübt: “Ich wollte den Treueschwur (Bay’ a) Husains und nicht seinen Tod. Allah verfluche Ibn Sumayya (Ubaydullah)! Bei Allah, ich hätte ihm vergeben. Allah segne Husain und gebe ihm nicht die Verantwortung!„ Er lud den am Leben gebliebenen Sohn Husains, Ali, an seine Tafel ein und speiste mit ihm. Als die Familie Husains später nach Medina zurückkehren wollte, war er ihnen behilflich, indem er ihnen eine kleine Truppe zur Verfügung stellte, unter deren Schutz sie Medina erreichten.
Kurze Zeit nach der Ermordung Husains erhoben sich in Qufa Stimmen und Ausrufe der Reue. Als die in Karbala Überlebenden nach Qufa gebracht wurden, kamen die Frauen aus ihren Häusern und begannen zu weinen. Ali, der Sohn Husains, sprach angesichts dieses widersprüchlichen Verhaltens: „ Diese weinen um uns! Aber wer hat uns denn umgebracht?“
Die Ermordung Husains war die wichtigste Begründung für alle späteren von den Anhängern der Ahl al-Bayt (der Familie des Propheten) durchgeführten Aufstände. Das Geschehen in Karbala ist auch der Hauptgrund dafür, dass aus der anfangs politischen Richtung der Schiiten eine religiöse Glaubensgemeinschaft wurde.
Sunniten sowie Schiiten zeigten verschiedene Reaktionen auf dieses Geschehen. Der Aschura-Tag (10. Muharram) ist für die Schiiten zu einem Tag der Trauer und Klage geworden.