Der Begriff Ahl al-Bayt bewahrte seinen religiösen und politischen Inhalt aus der vorislamischen Zeit (Dschahiliyya) von den Anfängen des Islam bis zur Eroberung Mekkas. In Folge der Eroberung Mekkas gelang die religiöse und politische Autorität vollständig in die Hände der Muslime. Ab diesem Zeitpunkt erfuhr dieser Begriff einen inhaltlichen Wandel. |
Der Ausdruck Ahl al-Bayt war in vorislamischer Zeit eine Bezeichnung für den Stamm Bayt al-Aliha, welcher für die Beaufsichtigung der Götzen und Götter in der Kaaba zuständig war. Später erweiterte sich die kontextuale Bezeichnung dieses Begriffes. Er gewann neben der religiösen Dimension auch eine politische Bedeutung und bezog sich neu auch auf die Verteidigung und Verwaltung der Stadt. In Mekka zählten diejenigen zu den Ahl al-Bayt, die sich zu religiösen und politischen Diensten am „Baytullah“ also dem „Hause Allahs“ verpflichteten und von derselben Abstammung (Stamm Bayt al-Aliha) waren.
Der Begriff Ahl al-Bayt bewahrte seinen religiösen und politischen Inhalt aus der vorislamischen Zeit von den Anfängen des Islam bis zur Eroberung Mekkas. In Folge der Eroberung Mekkas gelang die religiöse und politische Autorität vollständig in die Hände der Muslime. Ab diesem Zeitpunkt erfuhr dieser Begriff einen inhaltlichen Wandel. Mit der Eroberung wurden die Götzen in der Kaaba beseitigt. Die Quraisch wurden nicht mehr Ahl al-Bayt genannt, ebenso wurde „das Haus Allahs“ nicht mehr Bayt al-Aliha und die Mekkaner nicht mehr als Ahl al-Aliha betitelt. Folglich verlor der Begriff Ahl al-Bayt der Dschahiliyya vollkommen seine Bedeutung. Infolgedessen wurde der Begriff wieder in seiner eigentlichen arabischen Bedeutung verstanden: „Hausbewohner“. Während der Zeit der Offenbarung, als sich der Islam neu formte, fand der Begriff Ahl al-Bayt („Leute des Hauses/Hausbewohner“) in insgesamt drei Suren, zweier offenbart in Mekka und einer in Medina, in seiner ursprünglichen Bedeutung Erwähnung.
Die politischen Ereignisse nach der Ermordung Uthmans führten zu Spannungen, zu inneren Widersprüchen und Meinungsunterschieden unter den Muslimen, welche schließlich in Spaltungen endeten. Anfänglich hatten die Ereignisse politische Hintergründe. Später kam es zur Herausbildung von verschiedenen Glaubensansichten, sodass verschiedene Rechtsschulen (Madhab, türk. Mezhep) entstanden. Infolge dieser Entwicklungen gewann der Begriff Ahl al-Bayt in schiitisch und sunnitisch geprägten Regionen ganz verschiedene, vorher nicht verwendete Bedeutungen. Für die Untermauerung dieser neuen Bedeutungen wurden der Koran und die Hadith als Quelle zitiert. Seit diesem Zeitpunkt erhielt der Begriff Ahl al-Bayt laufend neue Bedeutungen. In einigen Regionen versteht man darunter den Propheten (sav) und seine gesammte Familie („Hausbewohner“). Andere meinen, dass zur Ahl al-Bayt nur Ali, Fatima, Hasan, Husain und ihre Nachkommen gehören. Wieder andere verstehen darunter die zwölf unschuldigen Imame, also die Nachkommen von Husain und seiner Frau Zayna‘l- Abidin und ihre Anhänger. In einigen Regionen werden der Prophet und seine Nachkommen als Ahl al-Bayt verstanden. Diese tragen den Ehrentitel Sayyid oder Scharif.
Der Begriff Ahl al-Bayt in den Versen des Koran
Der Begriff Ahl al-Bayt taucht im Koran nur in drei Versen auf: in der Sure Hud, in der Abrahams Familie („Hausbewohner“) und insbesondere seine Frau gemeint sind; in der Sure al-Qasas, wo sich die Ansprache an die Hausbewohner von Moses und an dessen Mutter richtet und in der Sure al-Ahzab im Bezug auf die Frauen des Propheten, die während der Offenbarung des Verses am Leben waren. Zusätzlich wird davon ausgegangen, dass der 23. Vers der Sure al-Schura sich auf den Begriff Ahl al-Bayt in Sure al-Ahzab Vers 33 bezieht.
Sure al-Ahzab, (33/29-33) [1]:
29. ‚“… aber wenn ihr Gott und Seinen Gesandten wünscht und (also das Gute des) Lebens im Jenseits, dann (wisst, dass) Gott wahrlich für die unter euch, die Gutes tun, eine mächtige Belohnug bereitet hat!“ 30. O Ehefrauen des Propheten! Wenn eine von euch offenkundigen unmoralischen Verhaltens schuldig werden würde, ihr Leiden (im Jenseits) wäre das Doppelte (dessen anderer Sünder): denn das ist führwahr leicht für Gott. 31. Aber wenn eine von euch demütig ergeben Gott und seinem Gesandten gehorcht und gute Taten tut, ihr werden Wir ihre Belohnung zweifach erteilen: denn Wir werden für sie eine höchst vortreffliche Versorgung (im kommenden Leben) bereitet haben. 32. O Ehefrauen des Propheten, ihr seid nicht wie irgendwelche von den (anderen Frauen), vorausgesetzt, dass ihr euch (wahrhaft) Gottes bewusst bleibt. (…) 33. Und verbleibt ruhig in euren Heimen und stellt nicht eure Reize zur Schau wie sie sie in der alten Zeit der heidnischen Unwissenheit zur Schau zu stellen pflegten; und verrichtet beständig das Gebet und entrichtet die reinigenden Abgaben und gebt acht auf Gott und Seinen Gesandten: denn Gott will nur alles von euch hinwegnehmen, was abscheulich sein könnte, o ihr Angehörigen des Haushalts (des Propheten [Ahl al-Bayt]) und euch zu höchster Reinheit reinigen. ‘
Offenbarungsgrund des Verses (Asbab al-Nuzul):
Über die Offenbarungsgründe der betreffenden Verse der Sure al-Ahzab (33/29-33), gibt es zwei grundlegende, voneinander abweichende Ansichten und viele Überlieferungen, die sich hauptsächlich auf diese beiden Ansichten stützen.
In Bukharis Überlieferung, welche von Aischa überliefert wurde, sagte Aischa: „Als dem Prophet befohlen wurde, dass seine Frauen sich zwischen dem Profanen und dem Propheten entscheiden sollen, kam der Prophet zuerst zu mir und meinte: „Aischa, ich werde dir einen Befehl kundgeben, sei jedoch bei der Beantwortung nicht voreilig. Lass dich sogar von deinen Eltern beraten und gebe mir später deine Antwort kund“. Dann rezitierte er mir die Verse: „O Prophet! Sag zu deinen Ehefrauen: ‚Wenn ihr (nur) das Leben dieser Welt und seine Reize wünscht – gut, dann werde ich für euch sorgen und Euch auf geziemende Weise entlassen; aber wenn ihr …‘(al-Ahzab, 33/28-33)“. Ich habe ihm gesagt, „worin soll ich mich mit meinen Eltern beratschlagen? Natürlich entscheide ich mich für Allah und seinen Propheten“. Daraufhin ging der Prophet zu jeder seinen anderen Frauen. Alle bevorzugten Allah, seinen Propheten und das Jenseits.“
Die zweite Ansicht stützt sich auf die folgende Überlieferung, die als Hadith al-Kisa bekannt ist: Der Prophet weilte in dem Haus seiner Frau Umm Salama. Seine Tochter Fatima kam und brachte einen Topf mit Essen, welches aus Fleisch und Mehl zubereitet worden war, mit. Der Prophet bat seine Tochter, auch ihren Ehegatten Ali, und ihre Söhne Hasan und Husain zum Essen zu rufen, um das Essen gemeinsam zu verzehren. Sie tat es und alle waren beisammen und fingen an zu essen. Während des Essens offenbarte Allah den Vers „…denn Gott will nur alles von Euch hinwegnehmen, was abscheulich sein könnte, oh ihr Angehörigen des Haushaltes (des Propheten [Ahl al-Bayt]), und euch zu höchster Reinheit reinigen“ [2].
Der Prophet nahm Ali, seine Tochter Fatima und die beiden Söhne Hasan und Husain zu sich, um sie unter seinem Gewand zu vereinen. Dabei sagte er: „Dies ist meine Ahl al-Bayt (Familie)“. Dann erhob er seine Hände zu Allah, indem er sagte: „Oh Allah. Dies sind meine engsten Familienangehörigen der Ahl al-Bayt (Bewohner des Hauses). Beschütze sie vor dem Schlechten und mache sie rein. Daraufhin fragte Umm Salama, was mit ihr geschehe. Der Prophet antwortete: „Bleib wo du bist, du bist eine gute Frau.“
Wer ist mit Ahl al-Bayt gemeint?
a) Die Frauen des Propheten: Dieser Vers richtet sich vollkommen an die Frauen des Propheten. Ibn Abbas (gest.68/687), Ikrima (gest.101/722), Ibn Dscharir at-Tabari (gest.310/922), Imam Maturidi (gest.333/944), Qadi Abduldschabbar (gest.415/1025), Zamakhschari (gest.534/1143), Qurtubi (gest.671/1272), Qadi al-Baydawi (gest.685/1286), Nasafi (gest.710/1310), Hâzin (gest.741/1341) und Ibn Kathir (gest.774/1372) sind jene Koranexegeten, die die Meinung vertreten, dass mit Ahl al-Bayt nur die Frauen des Propheten gemeint sind.
b) Der Hausstand des Propheten (seine Frauen, Ali, Fatima, Hasan und Husain): Die Koraninterpreten meinen, dass in diesem Vers die Frauen des Propheten und Ali, Fatima, Hasan und Husain gemeint sind. Einige dieser Ausleger vertreten auch die Meinung, dass dieser Vers sich ebenfalls auf Uthman „Dhinnurayn“ beziehen muss, da er mit beiden Töchtern des Propheten, mit Umm Kulthum und Rukia verheiratet war. Aufgrund dessen müssten auch deren Kinder zur Ahl al-Bayt gehören.
Nach dem berühmten türkischen Koranexegeten Elmalili M. Hamdi Yazir (1878-1942) gehören Hasan und Husain als Enkelkinder des Propheten und Ali, welcher im Haus des Propheten aufwuchs und mit Fatima lebte und dadurch als Angehöriger eine besondere Stellung gewann, zur Ahl al-Bayt. Das soll jedoch nicht heißen, dass die anderen Töchter des Propheten und deren Kinder nicht zur Ahl al-Bayt gehören. Ganz im Gegenteil, dies bedingt vielmehr deren Zugehörigkeit.
c) Ali, Fatima, Hasan und Husain: Einige der Koranexegeten, die in der Mehrheit schiitisch geprägt sind, nehmen an, dass dieser Vers nicht die Ehefrauen des Propheten, sondern nur Ali, Fatima, Hasan und Hussain, also die „reinen Nachkommen“ anspricht. Auch die zwölf Imame, die von ihnen abstammen, zählen zu dieser Gruppe.
Die Tabiun Abu Said al-Khudri, Mudschahid (gest.103/721) und Katada (gest.117/735) sind der Ansicht, dass in diesem Vers Ali, Fatima, Hasan und Husain gemeint sind, da das im Plural stehende Personalpronomen „kum” mit der Bedeutung „euch“, eine männliche Anrede ist. Wäre die Ansprache an die Frauen des Propheten gerichtet, so müsste das feminine Personalpronomen im Plural stehen.